INTERVIEW mit HR Director der s.Oliver Group Thomas Lurz: Wie gelingt das Jahresgespräch?

Portrait_ThomasLurz1_by IngoPetersEs ist wichtig, eine gute Stimmung zu schaffen, denn es sollten auch kritische Punkte angesprochen werden. Das geschieht zum Beispiel, indem man  authentisch, offen und ehrlich mit  dem Mitarbeiter redet. 

Herr Lurz, muss ein Jahresgespräch sein? Meine Mitarbeiter sehe ich doch sowieso jeden Tag ...? 

Ja, auf alle Fälle. Es ist unabdingbar, dem Mitarbeiter ein Feedback zu geben, wie das Jahr gelaufen ist. Ob alle gesetzten Ziele erreicht wurden und wohin die Reise im nächsten Jahr gehen soll – also von der Entwicklung her. Nur dann kann sich ein Mitarbeiter verbessern. Jeder Mitarbeiter muss schließlich wissen, wie gut er in einem Jahr war. Oder wo seine Potenziale liegen. Das ist im Interesse des Gesamtunternehmens und auch einer Führungskraft sowie eines jeden Mitarbeiters. Es ist auch eine Art der Wertschätzung, die bei so einem Gespräch zum Ausdruck kommen soll. 

Sollten Jahresgespräche auch mit Mini- und Teilzeitjobbern geführt werden?

Auch das ist sinnvoll. Denn jeder Mitarbeiter verfolgt Ziele, die dem Unternehmen helfen können, profitabel zu sein. Es kann aber durchaus in einem anderen Rahmen stattfinden. Das heißt konkret, dass die entsprechenden Gespräche nicht so lange dauern müssen, da man zum Beispiel nicht so tief in Zielformulierungen eintauchen und Entwicklungspotenziale definieren muss.

Sind Jahresgespräche in Zeiten von Corona auch online möglich?

Ich persönlich würde empfehlen, das Gespräch „in echt“ zu machen. Man kann dem Mitarbeiter in die Augen schauen, und das Gespräch findet auf einer anderen Basis statt. Aber: Da während der Pandemie natürlich andere Bedingungen herrschen, ist es natürlich möglich, Jahresgespräche auch online durchzuführen.

Wie sollte sich der Chef vorbereiten?

Natürlich sehr gut – das hat was mit Respekt gegenüber dem Mitarbeiter zu tun. Denn ein sinnvolles Gespräch setzt die entsprechende Gedankenarbeit voraus. Zum Beispiel sollte er darüber nachdenken, was sich während des abgelaufenen Jahres alles getan hat. Wurden die eigenen Zielsetzungen, die „Key Performance Indicators“, anhand denen man die Leitung misst, erreicht? Welche Potenziale sehe ich im Mitarbeiter? Welche Kernkompetenzen wurden erfüllt? Konkret könnte das zum Beispiel bedeuten: Wie viele Prüfungen wurden bestanden? Wie viele Stunden wurden vor der Prüfung absolviert? Waren die Kunden mit dir, Mitarbeiter, zufrieden? Bei den Kernkompetenzen könnte man zum Beispiel an die Kommunikationsfähigkeit denken oder auch an Fähigkeit, unternehmerisch zu handeln.

Und der Mitarbeiter?

Für den gilt genau das Gleiche wie für den Chef, er sollte sich ebenso akribisch vorbereiten und sich zum Beispiel überlegen, welche Erwartungen er an den Chef hat. Wie seine Leistung im vergangenen Jahr war. Oder was er noch erreichen möchte in Zukunft. All das sind Themen, die man in so einem Gespräch ausgezeichnet behandeln kann.

Sollte man sich vorab schriftliche Aufzeichnungen machen, die man mit ins Gespräch nimmt?

Ja, auf alle Fälle. Und man sollte seine Punkte priorisieren, also auf einer Skala einordnen.

Wie läuft ein Jahresgespräch generell ab – gibt es einen „roten Faden“ an Inhalten?

Selbstverständlich gibt es einen roten Faden, man sollte auf jeden Fall eine Agenda haben. In der Praxis ist der Gesprächsführer der Chef. Er sollte einsteigen in das Gespräch, denn er bewertet schließlich die Leistung des jeweiligen Mitarbeiters – und die Potenziale für die Zukunft. Vorab muss es aber schon eine klare Einschätzung dieser zu bewertenden Kriterien geben. Denn das passiert nicht aus dem Bauch heraus. Es ist auch wichtig, die „Softskills“ des Mitarbeiters anzusprechen und diese zu bewerten. Das sind zum Beispiel Belastbarkeit, Durchsetzungsvermögen, Ehrgeiz, Einfühlungsvermögen, Eigeninitiative, emotionale Intelligenz und Flexibilität. Dem Mitarbeiter sollte danach klar sein, in welchen „Softskills“ er gut ist und wo er noch besser werden kann.

Was sollte am Ende einen Jahresgesprächs  herauskommen?

Am Ende muss eine klare Bewertung stehen, ob die gesetzten Ziele des Jahres erreicht wurden. Man sollte auch einen Entwicklungsplan mit neu gesetzten Zielen fürs Folgejahr abstecken und die Defizite festzurren, bei denen mach sich verbessern könnte. In so einem Entwicklungsplan könnte es dann darum gehen, neue Fähigkeiten – etwa in Schulungen – zu erlernen oder vielleicht in neuen Bereichen eingesetzt zu werden oder mehr Verantwortung zu übernehmen.

In welchem Umfeld sollte das Jahresgespräch stattfinden, damit es gelingt?

Eine ungestörte Umgebung ist zum Beispiel wichtig, genauso wie eine strukturierte Vorgehensweise im Gespräch – wie oben schon erwähnt. Es ist wichtig, eine gute Stimmung zu erzeugen, denn in so einem Gespräch sollten natürlich auch kritische Punkte angesprochen werden. Das geschieht zum Beispiel, indem man authentisch, offen und ehrlich mit dem Mitarbeiter redet. Kritik sollte positiv aufgenommen und als Chance zur Verbesserung wahrgenommen werden. Ich weiß, das fällt oft schwer.

Was sind No-gos im Jahresgespräch?

Ganz klar: nicht vorbereitet in so ein Gespräch gehen. Oder das Gespräch ständig zu unterbrechen, um zum Beispiel E-Mails oder Telefonanrufe zu beantworten. Das geht gar nicht. Ebenso schlecht ist es, dem Mitarbeiter nicht in die Augen zu schauen und am Ende kein ehrliches Feedback zu geben. Man sollte zum Beispiel nicht alles positiv bewerten, wenn es das nicht war –  nur um des lieben Friedens willen. Das bringt keinen weiter.

Ist die Frage nach einer Gehaltserhöhung okay oder sollte man das extra besprechen?

In einem fairen und offenen Gespräch kann das natürlich auch zur Rede kommen. Das Verhältnis zum Vorgesetzten sollte so gut sein, dass man darüber reden kann – egal wann. Aber das Gehalt ist natürlich nur ein Teil des gesamten Berufsbilds. Ich bin der Ansicht, wenn man gute Arbeit leistet, sollte das Gehalt auch steigen. Hier muss man nur ehrlich mit sich selbst umgehen.

Kann es ein Nachgespräch geben, wenn nicht alle Punkte behandelt wurden?

Absolut. Schließlich sollten alle Punkte, die den Beteiligten am Herzen liegen, klar besprochen sein. Meiner Ansicht nach ist ein Gespräch im Jahr zu wenig. Einmal im halben Jahr sollte man sich schon mal zusammensetzen und alles Wichtige besprechen. 

ZUR PERSON 
Thomas Lurz ist der erfolgreichste Open-Water-Schwimmer der Welt mit zwölf Weltmeister-Titeln – in dieser Disziplin schwimmen die Athleten über eine längere Distanz in offenen Gewässern. Neben der Silbermedaille bei den Olympischen Spielen 2012 ist er zweifacher Träger des Silbernen Lorbeerblatts des Bundespräsidenten.  Er ist mehrfacher Weltschwimmer des Jahres und Sportler des Jahres der Stadt Würzburg.
Thomas Lurz hat zwei abgeschlossene Studiengänge als Diplom-Sozialpädagoge und einen MBA an der WHU Otto Beisheim School of Management. Er ist HR-Director bei s. Oliver und verantwortet dort für die ganze s. Oliver Group das Personal. Des Weiteren hat Thomas Lurz eine eigene Stiftung gegründet und unterstützt damit Menschen mit Handicap. Er ist Mitglied im Rotary Club und Autor. Der Titel seines Buchs: „Auf der Erfolgswelle schwimmen“.

Fachzeitschrift Fahrschule_Thomas Lurz

FS_1_21_Interview des Monats_Thomas_Lurz, 1534 KB

Das Interview ist erschienen in der Fachzeitschrift  FAHRSCHULE / Ausgabe 6