INTERVIEW TextilWirtschaft: "Wir waren noch nie so transparent und so nah an den Mitarbeitern"

S.Oliver gehört zu den großen Aufsteigern in der diesjährigen TW-Studie "Working in Fashion". Die Rottendorfer haben sich im Ranking des Gesamtimages um 21 Plätze auf Rang 10 verbessert und zählen damit erstmals zu den zehn besten Arbeitgebern der Modebranche. HR-Director Thomas Lurz spricht im TW-Interview über die Umstrukturierungen in der Personalarbeit, das Positive an der Corona-Krise und die Zukunftsängste der Mitarbeiter. 

1266_thomas_lurz_speaker_rednerTextilWirtschaft: Warum hat sich Ihr Image als Arbeitgeber so stark verbessert? Was haben Sie in der Personalarbeit anders gemacht?
Thomas Lurz: Eigentlich alles. Wir haben uns in den vergangenen zwei Jahren alles angeschaut, vieles angefasst und umstrukturiert. Wir haben unser HR-Development-Programm gestartet und die Personalarbeit komplett mit neuen Leadership- Programmen neu aufgestellt, den Fokus auf die Fachlaufbahn gesetzt und ein komplett neues BGM Konzept gestartet. Unser Young Talent-Programm haben wir neu aufgestellt und viele verschiedene Trainee-Programme ins Leben gerufen. Somit können wir - von unseren Azubis bis hin zu unseren höchsten Führungskräften - eine spitzen Aus- und Weiterbildung garantieren. Wir nutzen sogar Programminhalte, die von einer der besten deutschen Business Schools betreut werden. Hier bewegen wir uns auf einem MBA-Level.

Was bedeutet das konkret?
All unsere Weiterbildungen haben einen roten Faden und einen großen Business-Bezug. Wir nutzen wissenschaftlich anerkannte Profilings und entwickeln den Mitarbeiter dadurch auf professionelle Art weiter. Wir nutzen für alle Mitarbeiter LinkedIn Learning und verfolgen bei all unseren Schulungen immer unsere Unternehmenswerte Vertrauen, Stärke und Verantwortung. 
Die stehen immer im Mittelpunkt und sind Bestandteil unserer Führungsleitlinien, unserer Mitarbeiterbeurteilung sowie dem 360 Grad Feedback. Des Weiteren hat die Fachlaufbahn einen hohen Stellenwert, in der wir individuelle Weiterbildungen in den Karrierepfad einarbeiten.

Können Sie das an einem Beispiel erläutern?
Vergangene Woche fand beispielsweise unsere Stärkewoche statt. Los ging es am Montagmorgen mit einer virtuellen Keynote Speech, in der ich erklärt habe, was Stärke für mich als ehemaligen Profisportler bedeutet und wie jeder seine mentale Stärke trainieren kann. Es gibt hier einen Zwölf-Punkte-Plan, mit dem wir unsere mentale Stärke ausbauen und Potenziale erkennen können.

Und was bedeutet Stärke für Sie?
Ich komme aus dem Hochleistungssport, bin früher als Schwimmer bei drei Olympischen Spielen angetreten. Davon habe ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erzählt. Zum Beispiel, dass man nie in der Vergangenheit leben und sich nie auf früheren Erfolgen ausruhen sollte. Selbstmitleid bringt keinen weiter. Wir sollten niemals Kraft und Energie aufwenden in Dinge, die wir nicht ändern können.

So wie die Corona-Krise?
Genau. Sie trifft alle gleichermaßen. Jetzt gewinnt derjenige, der die Rahmenbedingungen am besten akzeptiert und mit den aktuellen Gegebenheiten am besten umgehen kann. Es vielleicht sogar schafft, etwas Positives daraus zu ziehen. Dafür haben wir in der HR-Abteilung die vielen Programme ins Leben gerufen, um so ein Mindset zu entwickeln.

Was ist für Sie das Positive an dieser Krise?
Sie hat uns beispielsweise gezeigt, dass die Gesundheit das Wichtigste ist. Sie hat den Menschen, die Mitarbeitenden wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt. Wir haben beispielsweise für alle Beschäftigten eine betriebliche Krankenversicherung mit einem umfassenden Vorsorge-Paket eingeführt, das komplett arbeitgeberseitig finanziert ist. Wir haben ein Corona-Impfzentrum auf dem Firmengelände eingerichtet, an die 700 Mitarbeitenden selbst geimpft und 2020 eine Corona-Prämie in Höhe von 1000 Euro an alle Beschäftigten gezahlt.

Unserer Studie zufolge macht sich jeder dritte Befragte in dieser Pandemie Sorgen um seinen Arbeitsplatz. Gibt es auch bei S.Oliver solche Ängste?
Nein, die Zukunftsängste sind bei uns sehr gering. Wir haben extra Befragungen dazu durchgeführt. Die Mehrheit der Belegschaft fühlt sich sicher. Aber das liegt sicherlich auch an unserer Kommunikation – denn wir haben intensiv kommuniziert, in regelmäßigen Meetings und Live-Events berichtet die Geschäftsführung offen über die aktuelle Situation bis hin zur finanziellen Lage.

In der Kategorie Zukunftspotenzial unserer Studie hat sich Ihr Unternehmen aus Mitarbeitersicht in dieser Krisenzeit von Rang 30 im Corona-Jahr 2020 auf Rang 17 verbessert. Liegt das an dieser neuen Form der Kommunikation?
Mit Sicherheit. Noch eine positive Seite der Krise. Wir waren als Unternehmen noch nie so transparent und so nah an den Mitarbeitern. Wir haben ganz neue Formen von Meetings eingeführt. Und die Digitalisierung, die ja ebenfalls durch die Krise einen enormen Schub erlebt hat, hat uns dabei geholfen.

Haben Sie Mitarbeiter während der Lockdowns verloren?
Kaum. Wir haben das detailliert abgefragt, weil wir uns darüber auch Sorgen gemacht haben. Aber die Fluktuation war nicht größer als zu normalen Zeiten. Lediglich bei den Aushilfen in unseren Läden gab es Abwanderungen. Unter anderem haben wir Studierende verloren.

Sind Sie derzeit auf Mitarbeitersuche?
Wir sind grundsätzlich immer auf der Suche nach gutem Personal, das in unsere Organisation passt. 

Ist es schwieriger geworden?
Es ist anders. Man muss offener sein, mehr Flexibilität und Agilität zeigen, mehr bieten.

Stichwort Mobiles Arbeiten?
Ja, das ist schon ein Thema bei den Vorstellungsgesprächen. Mehr als 90% der Bewerber fragen gezielt nach, ob sie auch von zu Hause aus arbeiten können. Und damit erweitert sich natürlich auch unser Recruiting-Zirkel: Jetzt können beispielsweise die ITler von anderen Großstädten aus für uns arbeiten. Das macht es natürlich einfacher und attraktiver.

Damit haben Sie es in der diesmal erstmals abgefragten Kategorie Möglichkeit des mobilen Arbeitens unter die Top Ten geschafft. Was bietet Ihr Unternehmen hier den Mitarbeitern?
Wir haben schon vor Corona mobiles Arbeiten angeboten. Jetzt sind wir aber sehr viel offener. Wir haben mit dem Betriebsrat eine abgestimmte Vereinbarung mit hoher Flexibilität: Die jeweilige Führungskraft entscheidet, wer wie oft von zu Hause aus arbeiten darf. 

Und wie sieht es derzeit aus? Welche Variante bevorzugen die Mitarbeiter im Headquarter?
In den Bereichen, in denen es möglich ist, arbeiten im Durchschnitt 70% der Mitarbeitenden ein bis zwei Tage pro Woche mobil. Aber viele kommen auch gern her, unter anderem auch, um unser neues Fitnessstudio zu nutzen oder mit Kollegen im Casino zu essen, um sich physisch zu vernetzen. Viele Mitarbeiter arbeiten auch gern in unseren Büros.

Ähnlich viele Mitarbeiter wie im Headquarter – nämlich etwa 1500 - beschäftigen Sie auch auf den Flächen in den mehr als 140 deutschen Stores. Sind die nicht neidisch?
Nein, denn alle Vergünstigungen, die wir in Rottendorf einführen, bringen wir auch auf die Fläche. Das heißt: Es gibt Zuschüsse für die Nutzung örtlicher Fitnessstudios und die Krankenversicherung für alle. Mobiles Arbeiten ist natürlich nicht möglich, aber das können in der Zentrale ja auch nicht alle nutzen. In der Logistik und im Casino ist das beispielsweise nicht möglich. Da gibt es keinerlei Neid oder Beschwerden. Der Grund: Wer sich für die Arbeit auf der Fläche entscheidet, wählt ja bewusst den Kundenkontakt, nicht die Schreibtischarbeit und will ja raus, in den Laden.

Wie stark leiden Ihre Mitarbeiter auf der Fläche unter der anhaltenden Maskenpflicht?
Auch darüber beschwert sich keiner. Denn alle sind froh, dass wir überhaupt wieder öffnen können. Aber natürlich ist uns klar, dass gerade den Mitarbeitenden auf der Fläche damit jetzt sehr viel abverlangt wird. Vor allem die unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Bundesländern stellen uns immer wieder vor große organisatorische Herausforderungen.

Ist die Corona-Krise insgesamt für die Personaler eine besonders große Herausforderung?
Ja, diese Krise hat die Personalarbeit wie nie zuvor in den Fokus gerückt. Die HR-Abteilung war und ist derzeit extrem gefordert – beim Recruiting, in der Kommunikation, in der Forcierung des Teamgeistes und Zusammenhalts. Aber wir haben durch diese Krise auch neue, bisher ungeahnte Möglichkeiten, Dinge auszuprobieren und zu zeigen, was wir draufhaben. Das sehe ich ganz sportlich, als großartige Herausforderung.

Was wird nach der Krise bleiben?
Die neuen, flexibleren und digitaleren Arbeitswelten. Und das neue Standing der Personalarbeit insgesamt. Der Mensch wird im Mittelpunkt bleiben. Wir haben gerade durch die Digitalisierung eine größere Nähe zu den Mitarbeitenden erreicht als je zuvor. Auch das digitale Recruiting werden wir beibehalten. Das Erstgespräch wird auch künftig häufig am Bildschirm stattfinden. Wir laden dann die Leute zu einem persönlichen Gespräch bei uns ein. 
Vieles, was wir jetzt durch die Pandemie einführen mussten, hat sich bewährt. Dass wir jetzt erstmals in Ihrer Studie unter den Top Ten sind, zeigt ja, dass wir vieles richtig gemacht haben - und macht das ganze HR-Team stolz.

Und wie geht es jetzt weiter? Woran arbeiten Sie derzeit?
Am Feinschliff unserer gestarteten Programme. Zum Beispiel muss das sehr erfolgreiche LinkedIn-Learning-Tool weiter implementiert werden. Wir werden aber auch den Weg weiterführen, unseren Mitarbeitenden mehr Vertrauen, die größere Verantwortung und Entscheidungsfähigkeit zu geben, um eine nachhaltige Veränderung zu erreichen.

erschienen am 17. Dezember 2021 TextilWirtschaft von Kirsten Reinold

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